Zur Entstehung von Am Anfang war das Wort

Die Bedeutung geschriebener Texte schwindet. Denken wir nur an die Popularität von Hörbüchern, Alexa und Siri oder Reels, Emojis etc. Was wäre, wenn eines Tages nur noch eine kleine Minderheit in der Lage ist zu lesen oder zu schreiben? Und was wäre, wenn sich der Staat dies zunutze macht?

Mit seinem dystopischen Roman Am Anfang kein Wort treibt Jörg Breitenfeld aktuelle Tendenzen auf die Spitze.

Parade zwischen Hochhäusern, der Große Piktosoph spricht von der Videowand.

In der fiktiven Welt der Piktatur empfinden die wenigsten Bürger das Schriftverbot als Einschränkung. Schon ihre Eltern und Großeltern ließen sich Bücher nur noch vorlesen, am liebsten in Kurzfassung. Auch in der Kommunikation überwogen Sprachnachrichten, Bilder und Symbole. Irgendwann hörten sie ganz auf zu lesen. Die allermeisten betrachten daher die herrschenden Gesetze und Verordnungen als eine willkommene Bekräftigung der gewohnten Praxis. 

Fast alle tragen spezielle Kontaktlinsen und lassen sich Live-Streams auf ihre Netzhaut projizieren. Mittels Omnivision können sie sich in andere Leben „einklinken“ und sehen, was andere sehen. Gleichzeitig teilen sie mit anderen, was sie selbst sehen: Bewegtbilder in Echtzeit, rund um die Uhr. Wer Interessantes zu zeigen hat und viele „Mitseher“ gewinnt, wird mit Prämien belohnt. Also reißen sich alle ein Bein aus, um Dinge zu unternehmen, die anderen gefallen. Der Wunsch zu lesen kommt gar nicht erst auf.

Verstöße gegen das Schriftverbot werden mit Entidentifizierung bestraft. Ein operativer Eingriff verwandelt die Missetäter in willenlose Befehlsempfänger. Sie erhalten eine Aufgabe, die sie mit Hingabe erfüllen. Anstelle ihres Namens wird ihnen eine Nummer zugeteilt. Der Staat setzt Scharen solcher Nummernwesen für den „Wiederaufbau“ ein.

Aus frühen Experimenten zur Entidentifizierung ging Schattenvolk hervor. Wer zu ihnen gehört, kann bei Tageslicht nicht sehen. Sie leben unter der Oberfläche der Innenstadt und steigen nur empor, wenn es dunkel wird. Ihr mysteriöser Anführer nennt sich Zwiebelfisch.

Anspielungen und Zitate

Der Titel Am Anfang kein Wort spielt an auf die erste Zeile des Johannesevangeliums („Im Anfang war das Wort“). Bei der Bibel handelt es sich um das am häufigsten gedruckte schriftliche Werk der Welt. Das verfremdete Zitat deutet an, dass zu Beginn der Story schriftlich verfasste Worte und jegliche Bücher verboten sind.

Der Titel ist auch typografisch verfremdet: Das Ersetzen von Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern (Leetspeak-Schreibweise) illustriert die Mutation, der die Sprache ausgesetzt ist.

Der Roman enthält etliche Verweise auf Literatur (u.a. Sherlock Holmes, Don Quijote, Fahrenheit 451). In Anlehnung an Margaret Atwoods Der Report der Magd begrüßen sich die Anhänger der Piktatur mit der Formel „Dein Bild sei unser“. Anklänge an historische Ereignisse wie Französische Revolution und Mauerfall sind ebenfalls erkennbar.

Ein Gesinnungsverhör wird mit Methoden durchgeführt, die an den Voight-Kampff-Test aus dem Film Blade Runner erinnern. Der Showdown in der Bar ist eine Referenz auf die Komet-Bar in Jörg Breitenfelds Vorgänger-Roman Bar Codes.